Konflikte sind keine Missverständnisse. Sicherlich gibt es Missverständnisse, die zu Konflikten heranwachsen. Ihnen widmen sich diejenigen, die sich mit interkultureller Kompetenz beschäftigen. In der Regel gilt jedoch, dass Konflikte nicht die Folge von Missverständnissen sind, im Gegenteil: Sie entstehen, wenn etwas richtig verstanden wurde. Und es ist eine gängige Strategie, unangenehmes Konfliktgeschehen zu relativieren, indem man es nachträglich zu einem Missverständnis erklärt. Diplomaten machen das gerne, denn es ist eine sinnvolle, gesichtswahrende Taktik, die weitere Anspannungen vermeidet. Tatsächlich aber zeigt die Rhetorik vom Missverständnis an, dass man sehr wohl um den Konflikt weiß.
So findet der Arbeitskampf statt, nachdem man die Gegenseite richtig verstanden hat. Koalitionsstreitigkeiten in der Politik spiegeln das korrekte Verständnis der konkurrierenden Parteien und Positionen wider. Und auch das Einreichen einer Scheidung drückt ein tiefes Verständnis für die Lage aus, nämlich dass es so nicht weiter geht. Ebenso ruhen politische Konflikte auf dem Verständnis, was der andere will – und das man es selbst so gar nicht möchte.