Digital Native oder nur Digitally Fluent?

Als Digital Natives werden gemeinhin die Generationen bezeichnet, die in der digitalen Welt aufgewachsen sind. Palfrey und Gasser bezeichnen damit diejenigen, die nach 1980 geboren sind. Die Generationen davor, werden analog als Digital Immigrants bezeichnet, da sie erst als Erwachsene in diese Welt eingetreten sind. Aber sind 1980er Jahrgänge wirklich im Digitalen geboren, wie es das Wort native suggeriert?

Ich behaupte, nein. Als Jahrgang 1986 bekam ich meine erste E-Mail Adresse 1998 und war damit weder besonders früh noch besonders spät dran. Auch wenn ich meinen ersten Computer schon zum zehnten Geburtstag bekam – laufen gelernt, habe ich fern ab aller technischen Geräte. Man hat mir beigebracht, anhand einer Karte auf Papier meinen Weg zu finden, in Kochbüchern das passende Rezept zu suchen, wie man ein Lexikon benutzt, das Telefonbuch zu verstehen, die Stereoanlage zu bedienen, Aufnahmen per Kassettenrekorder zu machen und den richtigen Kanal am Schwarzweißfernseher einzustellen. Heute hat mein Smartphone all diese und weitere Funktion ersetzt, ich bin also digitally fluent, bewege mich quasi auf Muttersprachniveau durch die digitale Welt.

Als eingeboren, native, würde ich erst die Generation bezeichnen, deren Eltern sich fließend im digitalen bewegen, frühestens die ab 2000 geborenen Jahrgänge. Also diejenigen, deren Geburtsanzeigen mindestens teilweise digital verschickt worden sind. Im Zweifelsfall sind sie nicht nur im Krankenhaus geboren, sondern ihre digitale Geburt fand schon vor der eigentlichen statt, da die Eltern ein Profil bei Facebook, Xing oder Co für den Nachwuchs eröffneten und schon die Ultraschallbilder posteten. Eine Generation für die der Kassettenrekorder oder vielleicht sogar die Diskette einen ähnlichen Seltenheitswert haben wie für mich ein Webstuhl oder eine Kutsche.

Sie können jetzt einwenden, dass das alles Haarspalterei sei, und für die Gesellschaft keinerlei Relevanz hätte. Sie haben Unrecht. Um das Beispiel mit den Fremdsprachen weiter zu belasten, sind diejenigen die eine Sprache auf Mutterspracheniveau sprechen, ohne Muttersprachler zu sein, die besten Botschafter für eine fremde Kultur. Diese interkulturelle Kompetenz und viele damit einhergehende Konstrukte, lassen sich auf das Digitale übertragen. Die Digital Natives in meinem Sinne sind also heute 15,16 Jahre alt und jünger, die Digital Fluents dagegen, bilden die Generation junger Erwachsener, die aktuell in der Politik, den Medien und der Wirtschaftswelt eine immer größere Rolle spielt. Der Satiriker und Moderator Jan Böhmermann (Jahrgang 1981), die Unternehmerin Elizabeth Holmes (Jahrgang 1984), die Platz 72 der Forbes Weltrangliste der einflussreichsten Frauen belegt, sowie Facebook-Gründer Mark Zuckerberg (Jahrgang 1984) sind dafür nur einige prominente Beispiele.

Meine Generation wechselt mühelos von der Wählscheibe zum Touch Screen, von der Fernbedienung zur Sprachsteuerung. Sie ist es, die die Digitale Transformation ermöglicht und Unternehmen helfen kann, den Sprung ins kalte Wasser zu wagen.

 

John Palfrey, Urs Gasser: Born Digital: Understanding the First Generation of Digital Natives, Basic Books, 2008, ISBN 0-465-00515-2

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