Das Netz ist voll von social media-Ratgebern: „Content Marketing in 10 Schritten“, „Die 5 größten Fehler beim Bloggen“ oder „How to get started with xyz“. Aber was sind diese „Sozialen Medien“ eigentlich? Schon ein kurzer Blick in die Wikipedia zeigt, dass das Verständnis erstaunlich oberflächlich bleibt. Das Niveau ähnelt dem von Landschaftsbeschreibungen: Hier stehen Tannen, da sind Birken und dort Buchen. Hier Facebook, da Twitter und was war nochmal Snapchat?
Warum stehen sie gerade an diesem Standort, wie ist ihr Verhältnis zur Umwelt und was sind die Voraussetzungen, dass sie 100 Jahren nicht von der Landkarte verschwunden sind – all das bleibt im Dunkeln.
All zu viele Untersuchungen zu social media haben den Charme von Telefonbüchern, in denen katalogartig alles aufgelistet wird, was sich im Internet so findet. Eine bemerkenswerte Ausnahme bieten die Kolumnen von Sascha Lobo, die innovative Betrachtungen zu diesem Thema offenbaren. In diesem Geist werde ich ein paar der tieferliegenden Verständnisebenen der social media freilegen und analysieren um Ende vielleicht eine Definition zu erhalten, was social media eigentlich sind. Zunächst aber ein Blick darauf, was sie, entgegen des oberflächlichen Anscheins, nicht berühren:
Sie verändern nicht das Familienleben.
So selbstverständlich und schlicht diese Tatsache ist, so bemerkenswert bleibt sie. Alles was mit Familie zu tun hat, wird natürlich durch das Netz berührt, aber es verändert sich doch herzlich wenig. Egal ob es sich um die Großfamilie über mehrere Generationen handelt, um die typisch westliche tea-for-two-Familie oder um den alleinerziehenden Haushalt. Familie spielt sich beim gemeinsamen Essen ab, beim Nachhause kommen, beim Ausflug oder Urlaub – also per Definition dort, wo der unvermittelte Kontakt stattfindet. Genauer formuliert, bedeutet Familie unvermittelter Kontakt, also Intimität und jeder unvermittelter Kontakt, jede Intimität avanciert zur Familie. Natürlich stört etwaige Smartphone-Nutzung den Frieden am Familientisch, aber das tun Tagträume oder das morgendliche Zeitungslesen auch. Vor allem aber ist die Familie eine bereits vorhandene Gemeinschaft, die keine weiteren Hilfsmittel braucht.
Sie verändern keinerlei politische Institutionen.
Oder auf gut deutsch: Der klassischen Vereinsmeierei sind die social media weitgehend egal. Nur indirekt kommen sie in Berührung, wenn beispielsweise Vereine immer mehr veraltern, weil sich die digital natives nicht mehr für diese Art des Zusammenkommens interessieren. Doch das wesentliche Merkmal von Vereinen ist nun einmal das unmittelbare physische Zusammenkommen. Das gilt sogar für die Avantgarde des Digitalen wie der Chaos Computer Club: Nicht umsonst organisiert der sich über persönliche Treffen, Conventions und dem inzwischen maßgeblichen Congress. Diese Überlegungen treffen auch auf politische Parteien zu. So sehr moderne Wahlkämpfe ihre Kampagnen auf dem digitalen Bürgersteig über social media gestalten, um so weniger verändert es die politische Handarbeit im Alltag.
Kaum Veränderung in der Verwaltung.
Wer einen Termin im Bürgeramt braucht, dem helfen hierzulande die social media so sehr, wie der eigene Fernseher. Egal ob es das Finanzamt, ein Ministerium oder die Ausländerbehörde ist, digitale Terminbuchung ist vielleicht gerade so möglich, aber unbürokratische Hilfe per Chat? Pustekuchen.
Minimale Veränderungen der Hobby-Landschaft.
Zwar bringen sie mit ungeschlagener Effizienz verwandte Interessengruppen zusammen und erlauben einen bis dato ungekannten Austausch von Inhalten mit bewundernswertem Niveau, aber das konkrete Hobby findet immer noch in der konkreten Welt statt. Richtige digitale Hobbys gibt es nur wenige, Computerspiele oder Blogging wären zwei Beispiele.
Keine Veränderungen für Interessensvertretungen – mit Ausnahmen.
Verblüffenderweise nutzen auch diejenigen, deren Kernaufgabe sozialer Einfluss ist, also Interessensvertretungen, Verbände und Lobbygruppen die neuen Möglichkeiten maximal rudimentär. Eine bemerkenswerte Ausnahme bilden hier die Tier- und Umweltschützer, welche die social media verstanden und gemeistert haben.
Unternehmenswelt? Unklar.
Am überraschendsten ist vielleicht die Tatsache, dass unternehmerische Wertschöpfungsketten wenig bis gar nicht von den social media profitieren. Zwar gibt es mehr oder minder erfolgreiche Versuche von digital-PR, aber die meisten scheitern doch an dem basalen Unverständnis für die Grenzen dieser Medienart. Dann schaltet man doch lieber eine Anzeige oder einen TV-Spot, hierfür kann man nämlich die Verantwortung an die Werbeagentur auslagern.
Es fehlt an einem tiefen Verständnis für die Zusammenhänge. Das erschwert die breite Nutzung und segregiert die Anwender in Nutzer und Nicht-Nutzer. Es entstehen digitale Parallelgesellschaften und -strukturen. Und es entstehen völlig neue Organisationsformen, welche die übersprudelnde Energie innerhalb der social media zu bündeln suchen. Es lohnt sich demnach, social media als Mikroöffentlichkeiten, also nach Interesse gebildeten Gemeinschaften zu analysieren.