Erst der Brexit, nun die Präsidentschaftswahl in den USA – jeweils hatten vorherige Umfragen einen anderen Wahlausgang vorhergesagt als er sich schließlich realisierte. Können wir Umfragen noch trauen? So oder so ähnlich klangen und klingen viele Überschriften, Tweets oder Facebook-Kommentare. Im Folgenden ein Überblick über die verschiedene Gründe für das Fehlschlagen der Vorhersagen und ein Ausblick wie es besser gehen kann.
Neue Zeiten – Neue Kommunikationsformen
In der FAZ ist insbesondere die Rede davon, dass die Demoskopen, deren Wissenschaft Vorhersagen durch Umfragen sind, ihre Methodik anpassen müssten, da sich die Kommunikationsformen vervielfacht haben. Immer weniger Leute sind über ein Festnetztelefon erreichbar. Viele junge Leute haben nur noch ein Handy und sind viel online. Andere, vorallem Ältere, sind noch gar nicht online. Bei aufwändigen persönlichen Tür-zu-Tür Befragungen sind Stubenhocker, Arbeitslose und selbstständige Heimarbeiter überrepräsentiert. Jede Methode zur Datensammlung bringt also Nachteile mit sich und vernachlässigt eine andere Wählergruppe.
Politische Lager sind überholt
Hinzu kommt, dass sich niemand mehr auf irgendetwas festlegen möchte. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten politischen Lager oder zur Gruppe der notorischen Nichtwähler passt nicht mehr in diese Zeit. Ausschläge und Wechsel sind wesentlich größer als früher. Vermutlich auch auf Grund der Tatsache, dass Wahlkampf nicht mehr nur eine Einbahnkommunikation ist, sondern ein lautes um die Wette Getweete und Geposte. Je nach Stimmungs- und Meinungsbild schwanken auch die Vorhersagen.
Alte Hüte – oder die Fehlbarkeit der Vorhersage
Es gibt einige grundsätzliche Einwände oder Vorbehalte im Umgang mit Vorhersagen anhand von Stichproben. Zunächst mal bleiben es Stichproben und Vorhersagen bleiben Wahrscheinlichkeiten. Aber wir Menschen sind nun mal zahlengläubig. Die Umfrageinstitute auf der anderen Seite haben ein großes Interesse daran uns Ihre Zahlen als die besten zu verkaufen.
Die Güte einer Vorhersage hängt jedoch von vielen Aspekten ab. Handwerk auf Seiten der Fragensteller und Auswerter machen dabei lediglich einen Teil aus. Angenommen, eine ältere Dame wird von einem jungen Mann, der sich sein Studium über diesen Nebenjob verdient, zu seinem Wahlverhalten befragt. Es reicht schon aus, dass sie die Vermutung hat, er persönlich wäre für Hillary Clinton, damit sie, um dem Studenten zu gefallen, ebenso antwortet. Dieser Effekt der sozialen Erwünschtheit führt zu einer systematischen Unterschätzung der Ergebnisse populistischer und / oder unpopulärer Kandidaten, Parteien und Szenarien. Außerdem bleibt bis zum Ende unklar, wer wirklich zur Wahl geht. Letzteres hängt unter anderem von den veröffentlichten Umfrageergebnissen ab. Wähler, die mit der vermeintlichen Siegerseite sympathisieren, können denken, sie würden gar nicht gebraucht und haben damit einen geringeren Anreiz zur Wahl zu gehen.
Schwachstelle einer jeden Befragung
Ein Punkt der leider häufig übersehen wird, ist die Freiwilligkeit der Teilnahme. Denn niemand kann zur Befragung gezwungen werden. Wenn diese Bereitschaft zur Teilnahme sich in den politischen Lagern unterscheidet, hat die Umfrage keine Chance mehr ein adäquates Bild zu zeichnen. Das Ergebnis wird zu Gunsten des Lagers verzerrt sein, wessen Mitglieder bereitwilliger an Umfragen teilnehmen. Im Fall der US – Wahl liegt die Vermutung nahe, dass Trump – Sympathisanten tendenziell Umfrage-fauler waren. Dieser Aspekt wird gerne ignoriert. Ausgerechnet die BILD Zeitung benennt ihn jedoch.
Wieso ist der Unterschied gerade jetzt so groß?
Populismus begünstigt gleich mehrere der oben genannten problematischen Aspekte und macht die Folgen deutlicher. Wenn also Umfragen als Teil des Establishments wahrgenommen werden, steigt der Zusammenhang zwischen der Bereitschaft zur Teilnahme an einer Umfrage und dem Wahlverhalten für die regierenden Parteien. Je weiter sich die selbst ernannte „gute und richtige“ Seite vorne sieht und je lauter sie sich feiert, umso stärker werden diejenigen motiviert, die sich nicht gehört fühlen.
Qualitative statt quantitative Vorhersage?
Aber nicht alle Vorhersagen zur US-Wahl waren falsch. Professor Helmut Norpoth sah Donald Trump als Wahlsieger. Zur Vorhersage nutzte er ein qualitatives Modell, mit dem er auch schon in der Vergangenheit zuverlässige Wahlvorhersagen gemacht hatte. Ausgerechnet in einer Welt, in der Daten der Goldene Gral zu sein scheinen, behält also eine qualitative Analyse recht. Aber keine Angst, dass Big Data seinen Einfluss verlieren könnte: Norpoth hat schließlich auch niemand ernst genommen…