Ein Kollege kommt zu spät, erledigt seinen Teil der Aufgabe nur unzureichend oder stört andere bei der Arbeit. Ohne darüber nachzudenken, wird solches Verhalten häufig durch Mehrarbeit anderer kompensiert. In kleinem Rahmen und basierend auf Gegenseitigkeit mag das in Ordnung sein, vielleicht sogar dem Teamgefühl zuträglich. Die Gefahr liegt darin seine Abgrenzung zu verlieren und Verantwortung für den anderen zu übernehmen; vor allem wenn das Verhalten des Kollegen systematisch ist. Aus ökonomischer Sicht ist dies ein klassisches „freerider“-Problem. Lösungsansätze dafür setzen zumeist auf der Organisationsebene an. Was aber kann man selbst als benachteiligter Kollege tun?
Die Perspektive der Kollegen ist für die Praxis besonders relevant, denn schließlich sind sie es, die Gefahr laufen, als unkollegial wahrgenommen zu werden. Jedoch wer kompensiert, macht das Problem unsichtbar und zwar auf eigene Kosten. Im Folgenden werden die Handlungsmöglichkeiten in einer solchen Situation strukturiert nach Richtung aufgezeigt: Welche Verantwortung habe ich mir selbst gegenüber? Wie verhalte ich mich gegenüber der störenden Person? Und wie gegenüber der Öffentlichkeit? Es sind keine Patentlösungen. Vielmehr geben die Ausführungen der Frage Struktur und stellen damit eine Denkhilfe für Ihre individuelle Entscheidungsfindung bereit.
An erster Stelle sind Sie für sich selbst und Ihr eigenes Wohl verantwortlich. Es gilt daher zunächst die Verantwortlichkeit und die Ziele zu klären. Wenn Sie kompensieren, nehmen Sie allen anderen den Handlungsdruck. Für eine bewusste Entscheidung, hilft es also sich klarzumachen, woher der eigene Handlungsdruck kommt, statt ihm direkt nachzugeben: Haben Sie Angst selbst in einem schlechten Licht dazustehen? Fühlen Sie sich für den Kollegen verantwortlich? Möchten Sie das Team gut aussehen lassen? Die Verantwortung für sich selbst fordert, dass Sie sich Ihrer Grenzen bewusst werden und auf ihre Einhaltung pochen.
Gegenüber dem Störenfried besteht die Pflicht zum Kontakt und Selbstschutz. Man kann durchaus mitfühlen und mitleiden, ohne die Schwierigkeiten und den Schmerz eines anderen zu übernehmen, wegzunehmen oder aufzuheben. Im Kontakt gilt es sich zu klar positionieren: „Ich bin damit nicht einverstanden.“ Unterbleibt dieser Schritt, erklärt man sich implizit einverstanden mit dem Verhalten des Anderen. Wenn sich die Situation im direkten Kontakt nicht entschärfen lässt, bleibt als Eskalationsstufe sich abzugrenzen und Öffentlichkeit zu schaffen.
Um Öffentlichkeit herzustellen, darf das Verhalten des Kollegen nicht unsichtbar gemacht werden. Fragt der Chef um 15 Minuten nach Arbeitsbeginn nach Herrn Meier, also nicht wie üblich behaupten, dieser sei nur kurz auf Toilette, obwohl besagter Kollege wie so oft erst in ein paar Minuten zur Arbeit erscheinen wird. Stattdessen reicht ein aufrichtiges „Ich weiß nicht, wo Herr Meier ist.“ völlig aus. Je nach Kontext kann es sinnvoll sein Zwischenfälle, Ereignisse, Auffälligkeiten zu protokollieren. Dies wirkt der Dezentralität von Informationen entgegen und hilft im Gespräch mit Vorgesetzten. Wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, werden Sie um den Gang zum Chef nicht drum herum kommen. Wählen Sie ein 4-Augen-Setting und teilen Sie ihrem Vorgesetzten ihre Beobachtungen und Bedenken mit, ohne Lösungen vorzuschlagen oder Forderungen zu stellen. Übernehmen Sie auch hier keine Verantwortung für die Situation ihres Chefs und lassen ihn alleine entscheiden, wie er mit der Situation umgehen will.