Manchmal ist die Lösung das Problem. Bei Konflikten ist das sogar regelmäßig der Fall. Wagemutig ist bereits schon die Unterstellung, dass es überhaupt eine Lösung für einen Konflikt gibt. Bei genauer Betrachtung entpuppen sich solche Behauptungen als ein frommer Wunsch, eine Hoffnung, vielleicht sogar als Handlungsaufforderung. Nur selten findet sich darin ein tatsächliches Wissen oder gar Kompetenz für Konflikte. Die Rede von Lösungen ist vielmehr die leicht zugängliche weiße Weste der Unschuld.
Konflikte zu lösen hat nämlich etwas Edles, es gilt als ethisch wertvoll und es wertet die Lösungssucher auf. Man(n) wird zum weißen Ritter: Unschuldig, unbefleckt und tapfer kämpft er für das Gute und die Vernunft. Als weibliches Pendant dieser Rolle tritt die mütterliche Retterin auf, das Opfer der zerstörten Harmonie. Unter sichtbaren Schmerzen und Tränen fragt sie, warum sich denn nicht alle einfach vertragen können. Und da liegt auch schon der erste Hund begraben: Solche Haltungen unterstellen den Streitenden unwillkürlich das Gegenteil des Bildes vom Lösungssucher: Streitparteien sind also unedel, befleckt und beschmutzt, gemein und fies, unwillig bis böswillig, Täter und Aggressoren; kurzum wird den Konflikteuren Unwillen und ethische Mängel vorgeworfen.
Die Inhaber von Lösungen weisen eine große Verwandtschaft zu den Inhabern von Wahrheiten auf: Es gibt eine richtige, korrekte Sicht- und Verhaltensweise – die Lösung, respektive die Wahrheit. Wer davon abweicht, ist entweder dumm oder unwillig. Die Dummen können belehrt werden, im Bedarfsfall mit viel Geduld. Die Unwilligen werden bestraft. Und wer trotz guter Belehrung noch immer nicht will, gilt als böswillig und muss bekämpft werden. Hier zeigt sich das eigentlich stereotype Schwarz-Weiß, dass in der eifrigen Rede von Lösungen steckt und seine Wirkung entfaltet: Hier die Guten, da die Bösen.
Menschen spüren solche herablassenden Unterstellungen sehr schnell. Und hier liegt dann der zweite Hund begraben: Niemand lässt sich gerne Dummheit oder Unwilligkeit unterstellen. Eine solche Unterstellung polarisiert, sie konstituiert eine unterschwellige Gegnerschaft zwischen den Konflikteuren und den Lösungssuchern. Die wenigen im Streit noch ungebundenen Ressourcen werden für eine weitere Verteidigungslinie mobilisiert und die Lösungsucher werden unmerklich zum Teil des Konflikts.
Der dritte Hund ruht in dem unsichtbaren Grab der Wissensanmaßung. Lösungsucher werden von etwas Sichtbarem, das nach Konflikt aussieht, auf den Plan gerufen. Entsprechend sehen sie nur das Laute, das Grelle und das Störende. Das Unsichtbare sehen sie nicht: Die Geschichte, die Biographien, die Verletzungen, die Ehre, die Würde und das Innenleben der Beteiligten. Intuitiv dominiert das Sichtbare die Eindrücke der Lösungssucher. Entsprechend kalibrieren sie ihre Lösungen nur anhand von: Wer am meisten leidet, hat Recht; Wer am lautesten schreit, hat Recht; Wer zuerst heult, hat Recht und Wer agressiv ist, hat unrecht; Wer auf seinem abweichenden Standpunkt beharrt, hat unrecht; Wer Lösungsvorschläge skeptisch betrachtet, hat unrecht. Die Lösungsucher ergreifen, ohne es zu merken, Partei für die leidenden ‚Opfer‘ gegen die aggressiven ‚Täter‘. Sie ergreifen auch Partei gegen diejenigen, die ihrem gerechten und edlen Lösungsbestreben skeptisch oder feindselig entgegenstehen.
Was bedeutet das also für die Konfliktlösung? Lösung bedeutet formal erst einmal nur eine Veränderung. Darin aber gleicht sie dem Konflikt selbst, denn auch er bedeutet Veränderung. Der Unterschied liegt einzig in der Konsensfähigkeit. Manchmal ist der Konflikt die Herstellung von Konsensfähigkeit, manchmal ist das ‚agreeing to disagree‚ der Konsens und manchmal ist der Konflikt selbst die optimale Lösung. Manchmal ist das Problem die Lösung.