Über menschliche Kommunikation wird im Allgemeinen viel geforscht und geschrieben, das Wesen digitaler Kommunikation wird dabei jedoch meist außen vor gelassen. Wenn man Kommunikationsarten nun nach dem Grad der Vermittlung und ihrem zeitlichen Verlauf einteilt, kommt man in etwa auf das folgende Diagramm:
Im ersten Quadranten (unvermittelt + unmittelbar) tauchen natürliche Kommunikationsarten auf, also solche, die auch im Tierreich zu finden sind. Der zweite Quadrat (unvermittelt + zeitversetzt) hingegen bleibt interessanterweise leer. Dies ist einerseits immanent logisch, andererseits würde ich im Tierreich Reviermarkierungen per Duftmarke hier durchaus gelten lassen. Der dritte Quadrant (vermittelt + zeitversetzt) ist größtenteils für Kommunikationsarten reserviert, die zwar einige Fingerfertigkeiten, wie Schreiben oder Malen voraussetzen, sonst aber relativ voraussetzungsfrei sind. Etwas aus dem Rahmen fällt hier die „Kommentarfunktion“ (Facebooks Pinnwand ist dem äquivalent), die zum einen einen unklaren Zeitbezug haben, da man nie weiß, wann und ob ein Kommentar freigeschaltet wird und wann und ob eine Antwort eintrifft. Zum anderen wird sie durch zahlreiche Instanzen gemittelt, was die Kommunikation entpersonalisiert und einen Abstand zwischen Sprecher und Inhalt aufbaut. Dies kann ein Hinweis sein, warum soviel Hatespeech über dieses Medium läuft.
Digitale Kommunikation ist zeitlich unmittelbar
Der vierte Quadrant (vermittelt + unmittelbar) setzt, bis auf eine Ausnahme, enorme technische Entwicklungen voraus. Die Ausnahme sind Rauch-, Klopfzeichen und das aufgeführte Morsen. Dass digitale Kommunikation immer vermittelt ist, ist eine Tautologie, außerdem konzentriert sie sich hauptsächlich auf die unmittelbare Kommunikation, damit ist sie der natürlichen möglichst nah. Die digitale Kommunikation ist also eine Abbildung unserer natürlichen Kommunikation, man kann in ihr die ursprünglichen Dorf- und Familienstrukturen entdecken.
Mehr Kommunikation ist unmöglich
Die eigentlich beschränkte Ressource unserer Zeit ist die Aufmerksamkeit. Daraus kann man schlussfolgern Man kann nicht mehr kommunizieren. Betrachtet man Kommunikation als ein Merkmal, dass den Menschen ausmacht, ist man ohne Kommunikation also kein Mensch mehr. Damit ist Watzlawicks „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ grundsätzlich erklärt. Damit muss es also eine natürliche Menge an Kommunikation geben, die der Mensch am Tag, in der Woche, im Jahr zum Leben braucht. Genauso wie er eine bestimmte Menge an Essen oder an Sonnenlicht braucht. Natürlich gibt es eine gewisse Varianz dieser Kommunikationsmenge, genauso wie beim Essen, aber im Mittel kann man sich auf eine Menge X als Arbeitsdefinition einigen.
Weniger Gespräch im Real-Life
Nun ist es aber so, dass wir immer mehr im digitalen Raum kommunizieren. Wenn die Kommunikationsmenge eines Individuums nun aber konstant ist, müssen andere Kommunikationsarten weniger werden. Ich behaupte, für die Kommunikationsarten des ersten Quadranten ist dies der Fall: Früher wohnte die Großfamilie auf engstem Raum, also war niemand jemals alleine, eine Dauerkommunikation per se. Heute wohnt die deutsche Durchschnittsfamilie mit zwei Kindern auf 100qm, also theroretisch kann jedes Familienmitglied in seinen 5x5m sitzen und die anderen ignorieren. Eine vielbescholtene Tatsache ist die Dauerpräsenz technischer Kommunikation, aber mal ehrlich, was ist das bißchen nächtliches WhatsApp gegen ein Familienbett mit fünf Kindern und ständigem Kommen und gehen? Von Angesicht zu Angesicht kommunizieren die westliche Wohlstandsgesellschaften definitiv weniger als unsere Vorfahren. Die Anonymität der Großstädte ist sogar sprichwörtlich.
Berührungen als Luxusgut
Die intime Kommunikation spielt sich zu großen Teilen unter engen Vertrauten ab, also nehme ich die kleiner gewordene Familie als Hinweis darauf, dass auch das weniger geworden ist. Ein weiterer Hinweis darauf ist, dass immer mehr Haustiere zum Kuscheln gehalten werden, sozusagen als Substitution für menschliche Kommunikation. Die These, dass wir auch weniger Sex als unsere Ahnen haben, ist heutzutage gewagt, nur wer viel Sex hat, kann dem modernen Selbstverständnis nach, glücklich sein. Die Tatsache, dass neun Monate nach Stromausfällen signifikant mehr Kinder auf die Welt kommen, ist aber ein gutes Indiz in diese Richtung. Sex als Spiel der Erwachsenen konkurriert mit allen anderen Spielzeugen oder Vergnügungsmöglichkeiten und verliert damit sein Alleinstellungsmerkmal. Vorzivilisatorisch hat man dunkle, lange Winterabende bei Kerzenlicht mit Musik, Geschichten und Sex verbracht. Heute ist der Unterschied zwischen Tag und Nacht in einigen Ländern immerhin noch anhand der Ladenöffnungszeiten festzumachen – ach was, es gibt ja Online-Shopping. Ein weiteres gutes Indiz, dass wir kaum noch Sex haben, ist, dass wir ständig davon reden, wieviel wir haben – vom Sexting ganz zu schweigen. Die Formel „oversexed and underfucked“ von Iris Osswald-Rinner bringt das auf den Punkt. Was also tun? Nun, reden Sie nicht; machen Sie!