Unsere Daten und Beziehungen sind im Internet Teil der digitalen Wertschöpfungskette geworden, daran lässt sich nicht rütteln. Doch warum fällt es uns so schwer, dies anzuerkennen und konstruktive Lösungen zu finden?
Kennen Sie die drei großen Kränkungen der Menschheit nach Freud? Wenn nicht, das Nachlesen lohnt sich! Freud diagnostizierte vor ungefähr 100 Jahren mit medizinischer Nüchternheit, dass seit Kopernikus der Mensch nicht Mittelpunkt des Weltalls und seit Darwin der Mensch nicht Mittelpunkt der Schöpfung sei, um dann zu ergänzen, dass der Mensch, als Blüte der abendländischen Zivilisation, nicht vernunftgesteuert, sondern vielmehr triebgesteuert sei. Auch digitale Wertschöpfung beinhaltet eine epochale Kränkung: Unsere Beziehungen und Daten sind zwar Entäußerungen unseres Innersten, gehören uns aber gar nicht. Sie sind also ein Gut, aber eben *nicht nur* ein schützenswertes, ein ethisches und ein unveräußerliches, sondern im Gegenteil: Sie sind gleichzeitig eine Ressource und ein Produkt.
Persönliche Daten gibt es nicht
Es nicht nur so, dass uns unsere persönliche Daten nicht gehören. Vielmehr ist es unklar, wem sie gehören oder ob sie überhaupt irgendwem gehören. Überhaupt zeigt sich, dass Begriffe wie Eigentum und Besitz unpassend sind. Michael Seemann argumentiert schon länger mit der post privacy, also damit, dass in einer digitalisierten Welt der Schutz von Daten grundsätzlich unmöglich ist. Die einzige Möglichkeit von Datenschutz überhaupt liegt in der Vermeidung, Daten überhaupt erst zu erzeugen. Seine Gedanken sind schwer von der Hand zu weisen – auch wenn sie eine große Beunruhigung darstellen. Oder eben eine Kränkung. Denn der Erfolg von social media und Suchmaschinen zeigt, dass ihre Nutzung irreversibler Teil des Lebens geworden sind. Sie erlauben ein Freiheitsgefühl, auf das niemand mehr verzichten möchte. Oder kennen sie irgendwen, der aus Nostalgie eine Information noch analog sucht, auch wenn es schnell gehen muss; oder ein Buch in der Bibliothek mit einem Handzettel ausleihen möchte? Und wenn ich mich hoffnungslos verlaufen habe, ist der Preis, Google meinen Standort mitzuteilen, um wieder nach Hause zu kommen, verschmerzenswert, oder?
Daten als regenerative Ressource
Die kostenlose Nutzung von Kommunikationstechnologien etabliert einen Standard. Doch wenn es nichts kostet, bist Du das Produkt. Allerdings müsste dieser Satz aktualisiert werden, denn nicht die Person ist das Produkt; es sind die durch sie erzeugten Daten. Verführerisch drängt sich der Gedanke auf, dass die digitale Welt eine virtuelle Landwirtschaft ist. Der Ackerbau gilt den Ökonomen als das Sinnbild von Mehrwert schlechthin: Aus einem einzigen Samenkorn wird eine ganze Ähre. In der digitalen Welt wird aus einem Klick eine ganze Datensammlung. Eine regenerative, abbaubare Ressource. Regenerativ, weil sie qua Nutzung nachwächst, je mehr auf ein Banner geklickt wird, desto mehr davon wachsen nach. Und je mehr die user machen, desto reicher wird die Ernte.
Abbildung und Visualisierung der sozialen Beziehungen
Mit dem Augenblick unserer Teilnahme an social media stellen wir unsere sozialen Beziehungen nicht nur zur Schau, sondern Dritten auch zur Verfügung. Das ist der Clou der social media, die Zurschaustellung, Abbildung und Repräsentation unseres Innen- und Soziallebens. Dies gilt auch und gerade im beruflichen Kontext. Soziale Beziehungen sind Tatsachen, ihre Visualisierung sind Abbildungen dieser Tatsachen. Waren sie vor den social media flüchtig, gewinnen die sozialen Beziehung mittels ihrer Abbildung nun an zusätzlicher Substanz, die sie jenseits des ursprünglichen Beziehungscharakters, also unabhängig von tatsächlicher Personen und Beziehung, aufrecht erhält. Sie emanzipieren sich von ihren Ursprüngen, indem sie zu Bildern der Beziehungen werden. Es ist der zwingende nächste Schritt, sich nur diese Bilder anschauen zu müssen. Um es mit den Worten eines Denkers auszudrücken:
Dass sich die Elemente des Bildes in bestimmter Art und Weise zu einander verhalten, stellt vor, dass sich die Sachen so zu einander verhalten. Dieser Zusammenhang der Elemente des Bildes heiße seine Struktur und ihre Möglichkeit seine Form der Abbildung. Das Bild ist so mit der Wirklichkeit verknüpft; es reicht bis zu ihr. Es ist wie ein Maßstab an die Wirklichkeit angelegt. Nur die äußersten Punkte der Teilstriche berühren den zu messenden Gegenstand. Nach dieser Auffassung gehört also zum Bilde auch noch die abbildende Beziehung, die es zum Bilde macht. (Ludwig Wittgenstein)
Neue Wertschöpfungsketten
Die social media erschaffen eine Spiegelwelt, voller Bilder und Strukturen. Die Art der Abbildung wird ebenso zur Ressource, wie auch das abgebildete Bild der Beziehungen zur Ressource wird. Sie stehen am Anfang neuer Wertschöpfungsketten, weil diese Daten und Abbildungen der persönlichen Beziehungen nicht mehr einer Person gehören, sondern zum Allgemeingut werden. Michael Seemann greift daher auf die Metapher des Steinbruches zurück. Zusätzlich werden aber die äußersten Berührungspunkte der social media auch zum Teil der Wertschöpfungsketten, nämlich genau dort, wo sie den messenden Gegenstand wieder berühren – die Personen selbst. Sie werden mit Informationen versehen, wobei Werbung eine Spezialform der Information ist. Es geht darum, die Personen auf Grundlage ihrer eingespeisten Daten zu berühren und zu verändern: Mit einem Like, einem Tweet oder einem Kommentar. Sie werden angeregt, die digitalen Ressourcen weiter zu düngen. Das fordert die Ökonomie heraus, die von beschränkten Ressourcen ausgeht.
Als Ressource stehen die Daten am Anfang der neuen Wertschöpfungsketten. Mit der Rückführung zur Person stehen sie am Ende der Wertschöpfungskette als Gut, welches nicht komsumiert, sondern kommuniziert wird. Die beschränkte Ressource ist nunmehr die Aufmerksamkeit, die unbeschränkte Ressource sind die Big Data. Letztere stehen als Ressource weiteren Wertschöpfungsketten zur Verfügung, während sich die Aufmerksamkeit am Ende aller Wertschöpfungsketten finden wird.