Abweichungen von der Norm sind eher die Regel als die Ausnahme. Das trifft auf Grammatik ebenso wie auf Mitarbeiter zu. Aus der Sicht von Unternehmen stellt sich die Herausforderung, negative Abweichungen zu minimieren und an den richtigen Stellen positive Abweichungen zu fördern. Ein möglicher Ansatzpunkt dafür ist die Personalauswahl. Ob dieser Ansatzpunkt überhaupt sinnvoll ist, hängt jedoch von der Kernfrage ab, ob Devianz eine über die Zeit stabile Persönlichkeitseigenschaft ist. Gibt es also die deviante Persönlichkeit?
Die Antwort hängt davon ab, an welchem Modell man sich orientiert: Breite Modelle gehen davon aus, dass Zuspätkommen, Diebstahl, Mobbing und andere von der Norm abweichende Verhaltensweisen von jeweils unterschiedlichen Persönlichkeitsfaktoren abhängen. Dem steht ein fokussiertes Modell entgegen, in dem unterschiedlichste Abweichungen durch einen Faktor, also eine persönliche Neigung zu deviantem Verhalten, erklärt werden. Praktisch bedeutet das: Wer häufig zu spät kommt, neigt demnach auch eher dazu, sich mal aus der Kasse zu bedienen oder die Kollegen zu belästigen. Zwischen diesen beiden Polen ordnen sich weitere hierarchische Modelle ein, welche deviantes Verhalten in Untergruppen aufteilen. Zum Beispiel lässt sich eine grobe Unterscheidung zwischen Verhalten, das sich gegen die Organisation und Verhalten, das sich gegen andere Personen richtet, treffen.
In Studien mit Daten aus der Unternehmenspraxis bestätigen Prof. Marcus (siehe Literaturempfehlung) und Kollegen weitgehend das Modell eines generellen Persönlichkeitsfaktors. Als wichtigster Faktor für die Vorhersage von deviantem Verhalten erwies sich Selbstkontrolle. Dieses Konzept entstammt der Kriminologie und beschreibt die Neigung, Handlungen zu vermeiden, deren langfristige Kosten die momentanen Vorteile übersteigen. Es konnte gezeigt werden, dass neurotische sowie narzisstische Menschen, und solche, die dazu neigen sich zu ärgern, eher zu deviantem Verhalten neigen. Von gewissenhaften und verträglichen Mitarbeitern hingegen ist weniger mit deviantem Verhalten zu rechnen.
Kurzum: Diese Forschungsergebnisse bestätigen, dass bereits in der Personalauswahl Einfluss auf das Maß an deviantem Verhalten im Unternehmen genommen werden kann. Dafür stehen standardisierte und wissenschaftlich fundierte Tests, die im Zusammenhang mit deviantem Verhalten stehen, darunter Persönlichkeitstests, Integrity Tests und Tests zur Neigung zu Aggression zur Verfügung.
Obgleich sich Devianz an der Person festmachen lässt, hängt es nicht stärker mit Merkmalen wie dem Geschlecht, dem Alter oder der Intelligenz zusammen. Ganz im Gegenteil, dort ist Vorsicht vor Fehlschlüssen geboten: Zwar bewerten Vorgesetzte intelligente Mitarbeiter häufig als weniger deviant. Datenerhebungen, die mit Selbstauskünften arbeiten, lassen aber auf keinen Unterschied zu weniger intelligenten Kollegen schließen.
Ein weiterer Fehlschluss bezieht sich auf positive Devianz. Diese lässt sich nicht schlicht aus der Abwesenheit von negativer Devianz vorhersagen. Stattdessen gibt es spezifische Faktoren für abweichendes Verhalten im Sinne des Unternehmens oder der Gesellschaft. Dazu an anderer Stelle mehr.
Also liegt der Teufel mal wieder im Detail: Wie finde ich deviante Persönlichkeiten, ohne gleich ein ganzes Assessment-Center aus dem Boden zu stampfen? Hinweise gibt es im nächsten Beitrag.
Literaturempfehlung:
Marcus, B. (2000). Kontraproduktives Verhalten im Betrieb: Eine individuumsbezogene Perspektive. Verlag für Angewandte Psychologie. Göttingen: Verlag für Angewandte Psychologie.