Von klugen Organisationen und klügeren Mitarbeitern

Ist Ihre Bereitschaft sich an Regeln zu halten und gute Leistungen zu erbringen unabhängig davon, wie Ihnen Ihre Vorgesetzten oder Kollegen entgegentreten und welche Arbeitsbedingungen Sie vorfinden? Vermutlich lautet die Antwort auf diese Frage „nein“ und das ist auch gut so. Das menschliche Verhalten ist eine sinnvolle oder kluge Reaktion auf die äußeren Bedingungen. Deviantes Verhalten bildet da keine Ausnahme.

Persönlichkeitseigenschaften können Unterschiede in der Neigung zum Zuspätkommen oder zu anderem abweichenden Verhalten erklären. Das jeweilige Umfeld bestimmt maßgeblich mit, wie stark eine persönliche Neigung zum Tragen kommt:
Erstens sinkt die Hürde einer Neigung nachzugeben oder sich gehen zu lassen, wenn die Erfahrung zeigt, dass dies toleriert oder implizit sogar gefördert wird. Dies gilt in besonderem Maße für Mobbing oder sexuelle Belästigung.

Zweitens können Verstöße gegen die geltenden Regeln am Arbeitsplatz die Funktion des Selbstschutzes, zum Beispiel vor psychischem Stress, ausfüllen. Wer auf Stress reagiert, indem er seine Aufgaben nicht mehr ganz so ernst nimmt oder sich „mal krankschreiben lässt“, schafft damit zunächst Entlastung und sorgt für sich.

In einer dritten Kategorie lassen sich Reaktionsmuster zusammenfassen, die auf einem mentalen Aufrechnen, zum Beispiel von Leistung und Gegenleistung, basieren. Reagiert ein Mitarbeiter, der sich benachteiligt fühlt, mit einer Handlung, welche dem Unternehmen oder dem betreffenden Kollegen schadet, nennt man dies negative Reziprozität. Im Volksmund beschrieben durch den Ausspruch „Wie Du mir, so ich Dir.“ Am Arbeitsplatz mündet negative Reziprozität in devianten Verhaltensweisen:

Wenn der Chef mir meine Überstunden nicht auszahlen will, komm ich jetzt halt immer 15min zu spät zur Arbeit.

Konkrete Zusammenhänge zwischen dem kollegialen und organisatorischen Umfeld mit deviantem Verhalten konnten auch wissenschaftlich nachgewiesen werden. Fühlen sich Mitarbeiter zum Beispiel benachteiligt oder ungerecht behandelt, reagieren viele darauf mit kontraproduktivem Verhalten. Neben den vertraglich geregelten Rahmenbedingungen geht es vor allem um Beziehungen. Destruktives Verhalten von Führungskräften, die beispielsweise ihre Macht missbrauchen, sowie Feindschaften unter Kollegen wirken sich ebenfalls negativ auf die Einstellung der Mitarbeiter gegenüber dem Unternehmen und auf ihr Verhalten aus. Auf der Gegenseite stehen Erfahrungen von Autonomie im Arbeitsalltag und gefühlter Unterstützung durch Vorgesetzte und Kollegen.

Handlungswirksam sind für die Mitarbeiter in erster Linie die impliziten, nicht die expliziten Regeln. Jede Diskrepanz zwischen Wort und Tat wird von Seiten der Mitarbeiter bestraft. So hat ein Verhaltenskodex im besten Fall – bei hoher wahrgenommener Verteilungsgerechtigkeit – keine Wirkung auf das konkrete Mitarbeiterverhalten. Steht die Lebenswelt der Mitarbeiter jedoch im Kontrast zu dem geschriebenen Wort, kann es für das Unternehmen sogar schlecht sein, einen Verhaltenskodex hochzuhalten (Umphress, Ren, Bingham & Gogus, 2009). Die erlebte Diskrepanz führt unter anderem zu höheren Diebstahlquoten.

Diese Ergebnisse sind in der Theorie leicht daher gesagt. Die Umsetzung dessen in der Praxis, ist hingegen weit weniger selbstverständlich. Damit ist deviantes Verhalten im Unternehmen nicht nur ein Thema der Personalauswahl. Wer ernsthaft etwas ändern möchte, muss auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass die Mitarbeiter mit ihrem unerwünschten Verhalten nur klug auf die Unternehmenskultur reagieren.

 

Literatur

Umphress, E. E., Ren, L. R., Bingham, J. B., & Gogus, C. I. (2009). The influence of distributive justice on lying for and stealing from a supervisor. Journal of Business Ethics86, 507-518.

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