Von Klatsch und Tratsch im Unternehmen

Heute schon getratscht? Bevor Sie mit einem entrüsteten „Nein“ antworten, überlegen Sie noch mal: Haben Sie nicht vielleicht doch mit einem Kollegen über die Arbeit eines anderen gesprochen und diese dabei bewertet – positiv wie negativ? Oder sich gemeinsam über eine neue Richtlinie oder die Kollegen aus dem Marketing aufgeregt? Wir leben in einem Zeitalter der Transparenz. Wenn jemand hinter dem Rücken über andere spricht und nicht jeder alles mitbekommt, gilt das abstrakt als verwerflich. Und doch tun wir es die ganze Zeit. Sollten wir uns nun deswegen schlecht fühlen oder gehören Klatsch und Tratsch vielleicht einfach dazu?

Doch zunächst zu den Grundlagen: Was ist Tratsch? Die vorgeschlagenen Definitionen decken eine große Bandbreite ab. Von sehr allgemein als „Austausch sozialer Informationen und sozialen Wissens“ bis hin zu spezifisch als „wertendes Gespräch zwischen mindestens zwei Personen über eine abwesende dritte Partei“. In Abgrenzung zum Gerücht ist das erste Ziel beim Tratsch nicht das Schließen von Informationslücken sondern simple Unterhaltung und die Vermittlung von Bräuchen. Tratsch erlaubt die Kommunikation von Emotionen, Meinungen, Glaubensgrundsätzen und Einstellungen gegenüber der Arbeit und der Organisation.

Aus dieser Beschreibung lässt sich ablesen, dass Tratsch in unterschiedliche Richtungen wirkt. Dazu ein Beispiel: Sie sind neu in einer Abteilung und treffen in der Teeküche einen Kollegen, der sich über einen anderen aufregt, weil dieser sein dreckiges Geschirr nie wegräumt. Sie lernen direkt etwas über die Eigenheiten des Kollegen in der Kaffeeküche sowie über den Abwesenden. Der Art und Weise, wie der Kollege über den anderen spricht, können Sie außerdem einiges über das Verhältnis der beiden entnehmen. Gleichzeitig ist dieser Kommentar durch die Blume auch eine Mitteilung an Sie, welches Verhalten der Kollege von Ihnen erwartet. Der Ebenenwechsel vom Arbeitskontext hin zu einer persönlichen Meinung und Bewertung kann jedoch auch eine Einladung zum persönlichen Gespräch sein. Tratsch liefert also Informationen über das soziale Gefüge, transportiert Gruppennormen, erleichtert Kommunikation und stärkt die soziale Bindung zwischen den Gesprächspartnern.

In bereits etablierten Gruppen treten andere Funktionen in dem Vordergrund. Besonders in Phasen des Umbruchs kann Tratsch Spannungen und Angst abbauen. Damit stellt das Tratschen ähnlich wie anderes deviantes Verhalten in bestimmten Kontexten einen Selbstschutz dar. Gleichzeitig geht Tratsch auch mit Macht einher. Interessant ist, dass diese Macht sich nicht an der klassischen Hierarchie festmacht, sondern am individuellen sozialen Netzwerk innerhalb des Unternehmens. So wird Tratsch zu einem möglichen Instrument für sonst schwache Minderheiten.

Die Welt des Unternehmens-Tratsches ist eine inoffizielle Parallelwelt, in die sich die Mitarbeiter von Zeit zu Zeit zurückziehen. Dort wird das Geschehen kommentiert und bewertet, ohne sich an die offiziellen Sprachregelungen zu halten, denn man ist ja „unter sich“. Informationen verbreiten sich auf diesem Weg extrem schnell und durch den Wegfall der sprachlichen Filter entsteht ein wesentlich authentischeres Meinungsbild als mit der besten Mitarbeiterbefragungen. Wer also als Manager gut informiert sein möchte über die Stimmung im Unternehmen sollte dem „Flurfunk“ lauschen. Er ist ein gutes Frühwarnsystem und eignet sich zum Ausloten von Koalitionen.

Literaturnachweis

Michelson, G., van Iterson, A., & Waddington, K. (2010). Gossip in organizations: Contexts, consequences, and controversies. Group & Organization Management 35, 371-390.

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